Die Faust Zions

Ilan Pappes neues Buch: Wissenschaft als Herrschaftsdienst

Ilan Pappe hat ein sehr persönliches Buch geschrieben, das den Kampf um die akademische Freiheit in Israel, genauer gesagt: die Nutzung der Wissenschaft zur Herrschaft, zum Gegenstand hat.

Der Staat Israel wird im hiesigen Bewusstsein größtenteils als ein demokratischer eingestuft, so dass der Untertitel "Kampf um die akademische Freiheit" irritieren mag.

Aber schon hier trennen sich die Leser, wenn sie eine Einstufung des israelischen Staates vornehmen. Folgen die einen dem ideologischen mainstream im Westen Europas, dann ist für sie die Aussage des Autors, er kämpfe um die akademische Freiheit in Israel, reine Polemik. Wer so etwas behauptet, scheint selbst Probleme mit der akademischen Freiheit zu haben.

Wer aber den Staat Israel aufgrund seiner Politik, insbesondere gegenüber der Bevölkerung Palästinas und, grundsätzlich, wegen seiner Entstehung anders, nämlich als alles andere als demokratisch einstuft, wird durch diesen Untertitel neugierig. Ja, er kann schon erahnen, worum es geht. Insbesondere bei diesem Autor, der zu den Neuen Historikern Israels zählt, gerät Israel sofort in den Verdacht, mittels der gewährten akademische Freiheit jemanden einzuschränken, der sie nicht zu Gunsten dieses Staates handhabt.

Pappes Forschungsergebnisse in der Historiographie haben, wie die anderer Neuer Historiker, die Unterstützung des zionistischen Staates beendet. Er hat gewissermaßen die Seiten gewechselt, als er bei seiner Arbeit von der blutigen Entstehung des Staates Israel erfahren hat (siehe sein Buch" Die ethnische Säuberung Palästinas"). Diese Abkehr ist umso heftiger geworden, als er erkannt hat, dass die israelische Geschichtsschreibung historische Tatsachen verdreht und auch leugnet und damit die Gründung des Staates Israel in einem Lichte darstellt, von der die Wahrheit so gut wie nichts abbekommt und somit im Dunkeln bleibt.

Diese Erkenntnis hat menschliche Erschütterung zur Folge, die sich auch im Verhältnis zu seinen akademischen Kollegen in Form von Zerrüttung ausdrückt. Da sie nicht den Mut haben, ihn bei seiner Arbeit zu unterstützen bzw. Unterstützung zu fordern, sondern sich subaltern gegenüber dem repressiven Staat verhalten, lösen sich seine Bindungen zu ihnen mit der Konsequenz, notgedrungen seine Tätigkeit an der Universität Tel Aviv aufzugeben und in die Diaspora nach London zu gehen.

Für Pappe ist die staatstragende Ideologie, der Zionismus, "von anderen Gesichtspunkten" als vielfach üblich zu diskutieren, nämlich "vor allem von dem der palästinensischen Opfer seiner Bestrebungen" (Seite 16). Er sagt deutlich, dass der Zionismus "als noble Antwort auf ein akutes reales Problem der jüdischen Existenz in Europa" begonnen hatte. "Aber dieser noble Impuls war in dem Moment verschwunden, als Palästina als das zionistische Ziel gewählt wurde; es ging nicht mehr darum, Menschen zu retten, sondern um Kolonisierung und Enteignung" (S. 144).

Es ist gerade diese "Entdeckung" als Ergebnis seiner wissenschaftlichen Arbeit, dass der Staat Israel ihm so große Schwierigkeiten bereitet.

Da der Zionismus alle Juden für sich beansprucht und der politische Zionismus Israels alle Juden für sein kolonialistisches Projekt braucht und zu gebrauchen trachtet, hat der zionistische Staat für eine solche Wissenschaft, wie sie Pappe betreibt, und ihre Ergebnisse keine Verwendung. Das sind solche Wissenschaftler, die zunächst an ihrer beruflichen Wirkungsstätte, dann aber auch im sozialen Bereich von der übrigen, folgsamen Mitgliedschaft der akademischen Gemeinde Diskriminierung unterschiedlicher Art erfahren.

Damit beginnt, schreibt Pappe, eine "qualvolle Reise, bei der man den Volksstamm und seine Ideologie weit hinter sich lässt."

Pappe berichtet in diesem Buch nicht nur von seinen schmerzhaften Erfahrungen als "abweichender" historischer Wissenschaftler in Israel, sondern eröffnet auch dem Leser in diesem Zusammenhang sehr viel über die heutige israelische Gesellschaft. Die ist offensichtlich vor allem durch den Zionismus mit seinem territorialen Anspruch auf Palästina, vermeintlich abgeleitet aus "göttlichem Recht", und durch das in seinem Geiste ideologisch geformte Militär geprägt. Zu den wichtigsten Ansprüchen dieser beiden "Institutionen" gehört der Anspruch auf die Verkündigung der eigenen Historiographie. Im vorliegenden Fall erfolgt sie unter Auslassung der palästinensischen Geschichtserzählung, was nach der ehemaligen Ministerpräsidentin Golda-Meir nur konsequent ist, die da 1969 behauptete: "So etwas wie ein Palästinenservolk gibt es nicht, hat nie existiert".

Sein Nachwort "Projekt: Israel entwaffnen" ist weit mehr als nur eine dem besseren Verständnis des vorher Gesagten dienende Schlussbemerkung. Es sind Gedanken, Israel bzw. die israelische Gesellschaft durch Überwindung der zionistisch-nationalistischen Leitideologie zum Humanismus zu bringen. Verwiesen wird unter anderem auf die BDS-Kampagne, die dazu beigetragen kann und soll, die heutige Realität einer "humanitären Katastrophe" zu beseitigen.

Dieses Buch liefert viele Aspekte der heutigen israelischen Gesellschaft und trägt zum Verständnis (nicht Akzeptanz!) der katastrophalen Situation in Palästina in erheblichem Maße bei. Wir lernen die Faust kennen, die unbeugsame Forscher in Israel trifft. Das Fäustchen, in das die Verhinderer von Ausstellungen zur Nabka sich lachen, haben wir in Deutschland kennen gelernt.

 

Ilan Pappe/Wissenschaft als Herrschaftsdienst, der Kampf um die akademische Freiheit in Israel- Leica Verlag Hamburg 2011; 19,90 €

Walter Wiese